Mittwoch, 9. Mai 2012

Mantra


Raus. Weg. Stille. Schweigen
Rennen. Laufen. Stehen bleiben.
Ich habe keine Angst.
Ich habe keine Angst.
Ich habe keine Angst.

Heute wird alles anders. Heute wird alles anders. Heute werde ich reden, mit Menschen reden und jemanden kennen lernen. Heute werde ich nicht mehr hinten in der Ecke sitzen. Heute werden die Plätze neben mir nicht frei bleiben. Heute. Heute werde ich in die Welt lächeln. Und Heute wird die Welt zurück lächeln. Heute. Ich stehe auf, ziehe mich an und verlasse das Haus. Meine Gedanken kreisen.

Raus. Weg. Stille. Schweigen
Rennen. Laufen. Stehen bleiben.
Ich habe keine Angst.

Ich sitze im Seminar. Ich habe den Text gelesen. Ich weiß jede Antwort, aber ich sage nichts. Die Diskussion berührt mich nicht. Die Menschen neben mir, die sagen nicht einmal „Hallo“. Einmal hab ich sie gegrüßt, laut und deutlich. Ich musste mich lange konzentrieren dafür. Ich habe keine Angst. Ich habe keine Angst. Sie haben nicht geantwortet. Ihre Gesichter sind wie Steinwände. Ich sitze in einer Arena, leer ohne Zuschauer, ohne Ausgang. Wenn ich etwas sage, höre ich mein Echo. Es hallt wieder in meinem Kopf, den ganzen Rest des Tages. Hallo. Hallo. Hallo.

Raus. Weg. Stille. Schweigen
Rennen. Laufen. Stehen bleiben.
Ich habe keine Angst.
Ich habe keine Angst.

Der erste, der durch die Tür verschwindet am Ende bin ich. Schnell weg. Raus. Weg. Laufen. Ich verlasse die Arena, die kalten Wände, die Steinfratzen. Ich bin frei. In 15 Minuten Vorlesung, Ich kann Menschen zuhören. Sie unterhalten sich über das Wochenende. Sie waren auf Parties. Auf Konzerten. Auf Poetry Slams. Ich war Zuhause. Ich habe gelesen. Mich hat niemand angerufen, ich habe kaum Nummern im Telefonspeicher. Ein paar Referatspartner denen ich zugeteilt wurde. Niemand wollte, ich habe einfach zufällig neben ihnen gesessen. Ich höre einfach den Menschen um mich rum zu. Das ist ein Anfang. Stelle mir vor, sie würden mit mir reden. Ein Anfang. Immerhin. In meinem Kopf sage ich auf:

Raus. Weg. Stille. Schweigen
Rennen. Laufen. Stehen bleiben.
Ich habe keine Angst.
Ich habe keine Angst.
Ich habe keine Angst.

Ich erinnere mich als das Studium anfing. An die Hoffnungen. Alles hinter sich zu lassen, neu anfangen, die Schule vergessen, die letzte Reihe ganz am Rand. Nichts war anders. In den ersten Vorlesungen habe ich Leute kennen gelernt, die ich doch nie wieder gesehen habe. Das Lebendige am Campus ist für mich das Moos in den Ritzen der Steinwände. Die Gespräche der Anderen.

Raus. Weg. Stille. Schweigen
Rennen. Laufen. Stehen bleiben.
Ich...

Ich gehe nach Hause. Heute habe ich nicht geredet. Kein Wort. Ich liege im Bett. Morgen wird alles anders. Morgen wird alles anders. Morgen werde ich mit ihnen reden. Morgen werde ich wieder in die Welt lächeln und diesmal wird die Welt zurück lächeln. Morgen.

Raus. Weg. Stille. Schweigen.